Das letzte Glimmen: Aus für die Zigarettenfabrik in Langenhagen
Eine Ära geht zu Ende – 640 Arbeitsplätze auf der Kippe
Die Luft ist rau in Langenhagen, nicht nur wegen des Produkts, das hier seit über fünf Jahrzehnten gefertigt wird. Es ist eine Mischung aus Enttäuschung, Unsicherheit und Wut, die durch die Hallen der Reemtsma-Zigarettenfabrik weht. Der traditionsreiche Standort nahe Hannover steht vor dem Aus. Der Mutterkonzern Imperial Brands plant, die Produktion komplett einzustellen. Rund 640 Beschäftigte bangen nun um ihre Zukunft. In einer Belegschaftsversammlung wurden sie über die Pläne informiert – und seitdem herrscht Alarmstufe Rot.
Was nach einer rein wirtschaftlichen Entscheidung aussieht, entwickelt sich zunehmend zu einem Symbol für Strukturwandel, für Standortverlagerung und für die Frage, wie viel Verantwortung globale Konzerne noch für ihre deutschen Standorte übernehmen.
Produktionsende als Folge globaler Strategiewechsel
Die Entscheidung zur Schließung des Werks ist laut Konzernleitung das Ergebnis einer langfristigen und detaillierten Analyse. Imperial Brands, das britische Mutterunternehmen von Reemtsma, hat sein globales Fertigungsnetzwerk unter die Lupe genommen und sich im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung für einen Rückzug aus Langenhagen entschieden. Der Grund: sinkende Produktionsmengen und eine daraus resultierende unzureichende Auslastung.
Der globale Tabakmarkt befindet sich seit Jahren im Wandel. Während die Umsätze mit klassischen Zigaretten zurückgehen, verschieben sich die Absatzmärkte in Richtung alternativer Produkte – E-Zigaretten, Tabakerhitzer, Nikotinbeutel. In vielen westlichen Ländern sinkt der Tabakkonsum kontinuierlich. Gleichzeitig steigen die Produktionskosten – nicht zuletzt durch höhere Löhne, steigende Energiepreise und regulatorische Anforderungen. Langenhagen, so die interne Analyse, sei unter diesen Bedingungen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.
Traditionswerk mit moderner Ausstattung – trotzdem nicht mehr tragfähig?
Ironischerweise gehört die Zigarettenfabrik in Langenhagen zu den technisch gut ausgestatteten Standorten des Konzerns. Seit 1971 werden hier Zigaretten produziert – darunter bekannte Marken wie West, Gauloises, JPS, Davidoff und die E-Zigarette blu. Neben klassischen Produkten fertigt das Werk auch Tabaksticks für Tabakerhitzer – eine Produktkategorie, die als zukunftsweisend gilt.

Doch trotz dieser Bandbreite an Produkten und einem hohen Grad an Automatisierung konnte das Werk offenbar nicht mehr mithalten.
Die sinkende Nachfrage und die daraus resultierende Überkapazität innerhalb des Konzerns führten zu einer kritischen Prüfung – mit dem Ergebnis, dass sich Imperial Brands aus Langenhagen zurückziehen will. Die Entscheidung fiel nicht über Nacht – sie ist das Resultat globaler Marktbeobachtung und unternehmensstrategischer Abwägungen.
Zwei Szenarien: Verkauf oder Schließung
Offiziell ist die Entscheidung zur Schließung noch nicht endgültig. Derzeit prüft der Konzern zwei Optionen: Entweder wird das Werk an einen Dritten verkauft – etwa an einen Branchenakteur oder an einen Investor mit neuen Ideen für den Standort. Oder aber es erfolgt die vollständige Stilllegung der Produktion.
In beiden Fällen ist jedoch klar: Imperial Brands selbst will die Produktion in Langenhagen nicht weiterführen. Für die Beschäftigten ist das ein herber Schlag – zumal viele seit Jahrzehnten im Unternehmen sind. Es geht nicht nur um Arbeitsplätze, sondern um Biografien, Familiengeschichten, ganze Erwerbsbiografien.
Die Rolle des Betriebsrats: Konsultationen und Druckaufbau
Die Entscheidung des Konzerns hat eine formale Konsultationsphase ausgelöst. Betriebsrat und Unternehmensleitung befinden sich nun in Verhandlungen. Dabei geht es um mehr als Sozialpläne und Abfindungen – es geht um mögliche Alternativen zur Schließung, um Standorterhalt, um die Frage, wie viel Einfluss Arbeitnehmervertretungen in globalen Unternehmen noch ausüben können.
Der Betriebsrat ist fest entschlossen, alle Möglichkeiten auszuloten. Die Gespräche laufen – jedoch unter großem Zeitdruck. Denn je weiter die Umstrukturierung bei Imperial Brands fortschreitet, desto schwieriger wird es, den Kurs noch einmal zu korrigieren.
Gewerkschaft NGG stellt sich gegen Schließung
Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat sich klar positioniert: Sie will den geplanten Rückzug nicht kampflos hinnehmen. In einer ersten Reaktion machte die NGG deutlich, dass man den Traditionsstandort nicht „mal eben so“ abwickeln werde. Für die Gewerkschaft steht nicht nur ein Werk auf dem Spiel, sondern ein Symbol für industrielle Kontinuität, für tarifliche Sicherheit und für die Frage, wie viel Produktion in Deutschland überhaupt noch gewollt ist.
Die NGG wirft der Konzernleitung vor, strategische Entscheidungen auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Die Verlagerung der Produktion ins Ausland – was in Branchenkreisen als wahrscheinlich gilt – bedeute nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch einen Rückzug aus dem sozialen und wirtschaftlichen Gefüge der Region Hannover.
Letzter Produktionsstandort in Deutschland
Der geplante Rückzug aus Langenhagen hätte eine historische Dimension: Es wäre das Ende der industriellen Zigarettenproduktion bei Reemtsma in Deutschland. Zwar bleibt die Zentrale in Hamburg bestehen – dort sitzen Verwaltung und Marketing –, doch die eigentliche Fertigung würde aus dem Land verschwinden.
Damit geht ein Stück Industriegeschichte zu Ende. Seit über 50 Jahren werden in Langenhagen Zigaretten hergestellt. Viele Mitarbeitende kommen aus Familien, in denen bereits die Eltern oder Großeltern im Werk gearbeitet haben. Der Standort war nicht nur ein Arbeitgeber – er war ein Stück Identität für die Region.
Wirtschaftliche Folgen für die Region
Die Schließung der Fabrik hätte weitreichende Konsequenzen. Neben den 640 direkt betroffenen Arbeitsplätzen hängen zahlreiche weitere Jobs indirekt an dem Werk: Zulieferer, Logistikpartner, Handwerksbetriebe, Reinigungsdienste. Der Rückzug eines Großarbeitgebers wie Reemtsma kann das wirtschaftliche Gleichgewicht in einer Region spürbar erschüttern.
Zudem würde die Kaufkraft vieler Familien sinken, was sich wiederum negativ auf Einzelhandel, Gastronomie und das Dienstleistungsgewerbe auswirkt. Der Standort Langenhagen ist infrastrukturell gut eingebettet, aber solche Schocks lassen sich auch in urbanisierten Regionen nicht ohne Weiteres abfedern.
Reemtsma-Zigarettenfabrik Schließung – Politik unter Zugzwang?
Die angekündigte Schließung dürfte auch politische Reaktionen hervorrufen. In der Vergangenheit haben Landesregierungen und Kommunen wiederholt versucht, in vergleichbaren Fällen vermittelnd einzugreifen – etwa durch Standortdialoge, Förderzusagen oder Unterstützung bei der Investorensuche.
Ob es auch in diesem Fall politische Initiativen geben wird, ist noch unklar. Fest steht jedoch: Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der in Deutschland viel über Industriepolitik, Deindustrialisierung und den Erhalt von Wertschöpfungsketten diskutiert wird. Der Fall Reemtsma könnte daher zum Prüfstein für das politische Bekenntnis zum Produktionsstandort Deutschland werden.
Ein Mutterkonzern unter Konsolidierungsdruck
Die Entscheidung von Imperial Brands ist kein Einzelfall, sondern Teil einer umfassenderen Restrukturierung. Der britische Konzern steht unter dem Druck, seine Profitabilität zu steigern und auf sinkende Nachfrage im klassischen Tabaksegment zu reagieren. Der Fokus verlagert sich zunehmend auf margenstarke Produkte und neue Nikotinformate. Auch Aktionärsinteressen spielen eine Rolle – Investoren erwarten klare Renditesignale, und das bedeutet oft: Kosten senken, Standorte straffen.
Standorte mit hohen Lohnkosten und geringer Auslastung geraten dabei besonders schnell ins Visier. Langenhagen erfüllt leider beide Kriterien. Die Entscheidung ist aus Unternehmenssicht strategisch nachvollziehbar – aus menschlicher Sicht jedoch schwer zu verkraften.
Widerstand formiert sich – Reemtsma-Zigarettenfabrik Schließung
Trotz der schwierigen Ausgangslage formiert sich der Widerstand. Betriebsrat, Gewerkschaft und Teile der Belegschaft wollen sich nicht kampflos geschlagen geben. In den kommenden Wochen sind Aktionen geplant – von Informationsveranstaltungen bis hin zu möglichen Protestkundgebungen. Ziel ist es, Öffentlichkeit zu schaffen, politischen Druck aufzubauen und den Konzern zu zwingen, ernsthaft über Alternativen nachzudenken.
Dabei ist den Beteiligten bewusst, dass es nicht einfach sein wird, den Rückzug noch aufzuhalten. Aber es geht auch um ein Zeichen: dafür, dass industrielle Arbeitsplätze nicht kampflos aufgegeben werden, dass soziale Verantwortung eingefordert werden kann – selbst von global agierenden Konzernen.
Zwischen Realität und Hoffnung – Reemtsma-Zigarettenfabrik Schließung
Der Fall Reemtsma ist ein Lehrstück für viele aktuelle Entwicklungen: Globalisierung, Strukturwandel, Arbeitnehmerrechte, Standortpolitik. Er zeigt, wie komplex wirtschaftliche Entscheidungen geworden sind – und wie stark sie das Leben vieler Menschen beeinflussen.
Noch ist nichts entschieden. Verkauf oder Schließung – beides ist möglich. Doch die Realität ist: Selbst im Falle eines Verkaufs müsste ein neuer Investor gefunden werden, der nicht nur den Standort, sondern auch Arbeitsplätze erhält. Das ist in einem schrumpfenden Markt alles andere als garantiert.
Gleichzeitig ist Hoffnung spürbar. Hoffnung auf einen alternativen Plan, auf politische Unterstützung, auf einen Aufschub, der Zeit schafft für neue Ideen. Was daraus wird, entscheidet sich in den nächsten Monaten – nicht in Hochglanzbroschüren, sondern in Verhandlungssälen, auf Betriebsversammlungen und womöglich auf der Straße.
Die geplante Schließung der Reemtsma-Zigarettenfabrik in Langenhagen ist mehr als ein betriebswirtschaftlicher Einschnitt – sie ist ein Spiegelbild für viele Konfliktlinien unserer Zeit. Zwischen globalen Strategien und regionaler Verantwortung, zwischen wirtschaftlicher Logik und sozialer Gerechtigkeit, zwischen Konzerninteressen und menschlichen Schicksalen. Der Ausgang ist offen – aber er wird ein Signal sein. Für die Industrie. Für die Politik. Und für die Menschen in Langenhagen.

Ingo Noack – ich bin Chefredakteur von FirmaCo. Ich möchte Ihnen die neuesten Nachrichten aus dem Bereich Firmen Gründungen, Unternehmen erklären.